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Ist Fachkräftemangel ein externes Problem oder hausgemacht?

von Andreas Müller
Europa leidet allenthalben unter einem Fachkräftemangel und sicher ist auch die Region Nordwestschweiz davon betroffen. Speziell beim Fachpersonal sieht es schlecht aus. Gewisse Branchen, wie z. B. die Pflege oder die Gastronomie trifft es härter als andere. Doch was ist die Ursache dafür. Sind Fehler der Politik dafür verantwortlich? Tut sie zu wenig dafür? Oder ist der Fachkräftemangel gar hausgemacht?

(Basel) Fachkräftemangel ist ein Schlagwort, das in letzter Zeit, immer öfters die Runde macht. Fast in jedem Quartals- oder Jahresbericht ist unter Ausblick zu lesen, dass neben dem Krieg in der Ukraine und dem damit verbundenen Energiemangel und die hohen Preise dafür, der Fachkräftemangel am meisten Sorgen bereitet. In der Schweizer Wirtschaft gibt es rund 114’000 offene Stellen (Stand Juli 2022). Aber tut man in der eigenen Firma intern alles dafür, um die Folgen abzumildern. Hat man alle Hausaufgaben in Bezug auf die Mitarbeitenden und die Rekrutierung gemacht?

Worin liegt die Ursache für unbesetzte Stellen?

Kürzlich beteiligten sich an einer Umfrage von Loginfo24 auf LinkedIn 174 Personen, alles Fach- und Führungskräfte aus der Logistik. Dabei sahen 59 Prozent (102 Stimmen) der Teilnehmer, dass die Probleme hausgemacht seien. Die Position „Zu wenig Ausbildung“ geht in die gleiche Richtung (13 Prozent oder 23 Stimmen). Die Logistik ist nicht der alleinige Gradmesser, aber sie ist in der Region Basel ein wichtiger Faktor und deshalb kann man davon ausgehen, dass in anderen Branchen ähnliche Resultate herauskämen.

Betriebe, die händeringend Personal suchen, sollten sich deshalb (ehrlich) folgende Fragen beantworten:

  • Gehen wir bei der Rekrutierung den richtigen Weg? Werden alle Möglichkeiten inkl. Social Media ausgeschöpft, um offene Stellen auszuschreiben?
  • Wird das Potential der bestehenden Mitarbeiter bei der Rekrutierung voll ausgeschöpft? Unter dem Motto: „Wer kennt jemanden (der jemanden kennt, der jemanden kennt…)
  • Entspricht das Umfeld den Gegebenheiten des Marktes?
    • Attraktivität
    • Infrastruktur
    • Arbeitsklima
    • Entwicklungsmöglichkeiten
    • Weiterbildung
  • Schraubt man die Anforderungen für eine offene Stelle zu hoch?
  • Will man nur junge Arbeitskräfte mit möglichst viel Erfahrung oder gibt man auch älteren Bewerbern eine Chance?
  • Wird es mit der „Akademisierung“ übertrieben?
  • Werden Lebensläufe, Schul- und Arbeitszeugnisse oder Bewerbungsunterlagen generell überbewertet?
  • Ziehen wir genügend Nachwuchskräfte nach resp. bieten wir genügend Ausbildungsplätze an?

Werden Bewerbungsunterlagen überbewertet?

 

Trägt die Politik die Schuld?

Was kann die Politik wirklich für den Fachkräftemangel tun? Sie kann das Umfeld in Bildung und Wirtschaft beeinflussen. Sie kann den Zugang für Personen aus dem Ausland erleichtern. Auch kann sie dafür sorgen, dass der finanzielle Rahmen (Steuern) und die Gesetzesbedingungen für die Gesamtwirtschaft stimmen, aber dann sind die die Möglichkeiten ziemlich ausgeschöpft.

Sie kann schon gar nicht für einzelne Branchen den Weg bereiten. Auch bei der Demografie kann die Politik nur bedingt eingreifen. Dass in den nächsten Jahren viele ältere Arbeitnehmer in Rente gehen und viel weniger Neuzugänge in den Arbeitsmarkt eintreten ist nur bedingt beeinflussbar. Schon gar nicht kurzfristig.

Natürlich kann die Politik auch die Zuwanderung steuern und in gewissen Fällen erleichtern. So etwas hat aber gerade in der Schweiz seine Limite nach oben. Dank dem guten Umfeld und dem hohen Lohnniveau ist die Schweiz bei Arbeitskräften im Ausland beliebt.

Was kann man tun, um mehr Fachkräfte zu gewinnen?

Die eigenen Möglichkeiten beginnen bei der Hinterfragung der oben erwähnten Punkte. Desweitern kann man am eigenen Image arbeiten. Ist man im Ort, wo man tätig ist auch bekannt (gilt auch für Niederlassungen)? Wird man als Arbeitgeber oder allenfalls als Ausbildungsbetrieb wahrgenommen? Ist man in den (regionalen) Medien bekannt? Berichtet man regelmässig auf der eigenen Webseite über die eigene Firma? Auch die Unterstützung von Anlässen und Vereinen vor Ort kosten vergleichsweise wenig, hat aber eine gute Wirkung.

Tischfussballtische in Firmen sind irgendwie zu einem Symbol für gutes Betriebsklima geworden. Aber genügt das zur Behebung des Fachkräftemangels?

Viele Betriebe nehmen inzwischen an Rekrutierungsanlässen teil. Das ist nachahmenswert, auch für kleinere Firmen. Inzwischen sind auch einige Unternehmen auf Social Media aktiv und zeigen dort Szenen aus dem Alltag. Insbesondere Instagram, Tik Tok oder auch Snapchat, wo viele jungen Menschen sich tummeln, sollten, neben LinkedIn, XING oder Facebook, durchaus auch in Betracht gezogen werden. Alle drei sind kostenlos, müssen aber regelmässig und richtig „bespielt“ werden.

Übergreifend sind aber auch die Handels- und Wirtschaftskammern sowie die Branchenverbände sehr aktiv und betreiben einen starken Aufwand, um vor allem junge Leute für eine Ausbildung zu motivieren.

Ein gutes Beispiel aus Belgien

Ein gutes Beispiel, wie man dem Fachkräftemangel begegnen kann, kommt aus Belgien. Auch wenn das nicht gleich um die Ecke liegt, so kann es dennoch als Beispiel auch für die hiesige Region dienen. Dort hat der Logistikdienstleister H. Essers die Kampagne „Eine rote Lösung für alle“ ins Leben gerufen. Dort gibt man allen Menschen, die sich bewerben, eine Chance.

„Wir wollen jedem die Chance auf Arbeit geben“, erklärt Gert Bervoets, CEO von H.Essers, und ergänzt: „deshalb tun wir mehr als nur Stellenanzeigen zu schreiben“. Konkret investiert der Logistiker in die Ausbildung und Entwicklung von Menschen. Mit der H.Essers Academy verfügt das Unternehmen über ein firmeneigenes Schulungszentrum mit einem breiten Angebotsportfolio: Vom Erwerb des Führerscheins, über Sprachkurse für Migranten bis zu einem persönlichen Talententwicklungspfad, der Mitarbeitende auf den nächsten Karriereschritt vorbereitet. In Kooperationen mit Sozialeinrichtungen und Verwaltungen soll Inklusion gewährleistet werden, um Menschen mit Handicaps die Chance zu eröffnen ihre Talente in Erwerbsarbeit einzubringen.

Das hat sogar den belgischen König Philippe auf den Plan gerufen und er sah sich das Ganze persönlich vor Ort an.

Der ganze Bericht:  https://loginfo24.com/belgischer-koenig-philippe-zu-gast-beim-logistikdienstleister-h-essers/

Der belgische König Phlippe (links) und Gert Bervoets, CEO von H. Essers (2. von links) im Gespräch mit Essers-Mitarbeitern

 

Ausblick

Aber ist der Fachkräftemangel in Zukunft überhaupt noch ein Problem? Kann es nicht sein, dass durch die Digitalisierung plötzlich zu viele Arbeitskräfte auf dem Markt sind? Beispiele, wie autonomes Fahren, etwa im öffentlichen Verkehr, Roboter in Lager- oder Fertigungshallen, Bots an Stelle von Menschen, die Auskunft geben, um nur einige zu nennen, können unsere Arbeitswelt massiv verändern. Heute werden sie noch als Hilfsmittel dargestellt oder als Unterstützer bei Mangel an Fachkräften. Aber sie lernen immer schneller und können immer mehr.

Die Wirtschaft und somit die Menschen leben heute sehr stark vom Konsum und vom Luxus. Klimabewegungen bekämpfen das aber auf das Heftigste. Ganze Industriezweige werden in Frage gestellt. Kann das alles ersetzt werden mit klimafreundlichen Dingen oder muss man lernen zu verzichten? Wie lebt der Mensch, wenn er keine Arbeit mehr hat resp., wenn es zu wenig Arbeit für Alle gibt?

Zum Glück wehrt sich aber die Industrie, denn auch Firmeninhaber wollen in Zukunft noch Geld verdienen. Aber ganz klar, die (Arbeits)Welt in der jetztigen Form steht auf dem Prüfstand.

Fazit

Kreativität und Aktivität können also durchaus dazu führen, dass Betriebe den Mangel an qualifiziertem Personal beheben oder zumindest lindern können. Auch ein oft unterschätzter Faktor: Sorge geben zu den bestehenden Mitarbeitenden.

Fotos: © baselbusiness24/H. Essers

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